Kumulierende Ausbauvorhaben erfordern Gesamt-UVP

1. Anpassungsbedarf

Europarechtlicher Anpassungsbedarf besteht, da die UVP-Änderungsrichtlinie (2014/52/EU) in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die Richtlinie sieht vor, den Bereich der Schutzgüter zu erweitern. Künftig sollen im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) beispielsweise auch der Flächenschutz, Klimaschutz, Energieeffizienz sowie Unfall- und Katastrophenrisiken betrachtet werden. Die Öffentlichkeit der UVP soll durch ein zentrales Internetportal gestärkt werden. Wesentlicher Anpassungsbedarf im UVPG ergibt sich aus der Richtlinie laut Begründung bei der Ausgestaltung der Verfahrensschritte einer UVP.

Ein weiterer Regelungsschwerpunkt sind laut Bundesregierung die Vorschriften zur Feststellung der UVP-Pflicht. Hier bestehe Anpassungsbedarf aus „praktischen Bedürfnissen“. Vorgesehen ist etwa, dass der Vorhabenträger künftig eine freiwillige UVP beantragen kann. Die verwaltungsseitige Vorprüfung, ob eine UVP-Pflicht besteht, soll mit dem Entwurf klarer und detaillierter geregelt werden. Ergebnis und Begründung der Vorprüfungen sollen zudem künftig öffentlich gemacht werden. In Umsetzung des „Irland-Urteils“ des EuGH vom 21.09.1999 (C-392/96) und eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts diesbezüglich soll außerdem sichergestellt werden, dass die „Umweltverträglichkeitsprüfung bei Projekten mit voraussichtlich erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt nicht durch eine Aufsplitterung der Vorhaben umgangen wird“, schreibt die Bundesregierung.

2. Bewertung

Fast drei Jahre hat sich die Bundesregierung Zeit gelassen, um das Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung an die Vorgaben des europäischen Rechts anzupassen. Dabei besteht ein hoher Handlungsbedarf zu Einschränkungen des Flächenverbrauchs, des Klimaschutzes und der Bewertung von Unfallrisiken insbesondere im Bahnverkehr.

a. Flächenverbrauch

In den letzten 20 Jahren hat die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland um 818.000 ha zugenommen. Das ist mehr als die gesamte Landwirtschaftsfläche in Hessen, die nur 770.000 ha umfasst. Das Gebot eines nachhaltigen Wirtschaftens, die Sicherung der umweltverträglichen Versorgung mit regionalen Lebensmitteln und der Natur- und Artenschutz fordern daher eine radikale Kehrtwende. Eigentlich ist allen Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft klar, dass der ständig fortschreitende Flächenverbrauch so nicht weitergehen kann, wenn die Menschen in den jeweiligen Regionen eine Zukunft haben sollen. Dennoch werden die Umweltverbände vor Ort immer wieder mit Planungen konfrontiert, die dem Prinzip der Nachhaltigkeit zuwiderlaufen.

Wenn dem Flächenfraß nicht rasch Einhalt geboten wird, dann wird dies nach Auffassung der Bundesvereinigung gegen Schienenlärm e.V. die Konflikte, die es schon heute um die Nahrungsmittelerzeugung gibt, enorm verschärfen mit all den negativen Folgen, die sich derzeit überall auf der Welt bereits abzeichnen. Alleine um den momentanen Fleischkonsum in Deutschland zu gewährleisten, werden in Brasilien für jeden Deutschen 300 Quadratmeter Land mit Soja bewirtschaftet. Die EU nutzt außerhalb Europas rund 640 Mio. Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche. Das ist viermal so viel wie die Landwirtschaftsfläche aller 28 Mitgliedsstaaten zusammen. Die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm e.V. appelliert deshalb gemeinsam an die Verantwortung gerade der Verkehrs- und Kommunalpolitiker, die es in der Hand haben, ob Ackerfläche geschützt oder vernichtet wird. Neue Gewerbegebiete oder Straßen lassen sich leicht einrichten, Ackerflächen dagegen sind nicht vermehrbar. Das sollte jedem Entscheidungsträger bewusst sein, bevor er die Hand zugunsten von noch mehr Beton und Asphalt hebt.

b. Klimaschutz

Die Unverbindlichkeit in der Klima- und Energiepolitik behindert die insbesondere zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Menschen in der Dritten Welt notwendige Energiewende und den konsequenten Klimaschutz. Es fehlt an einem Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Zielen, um die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Dazu müssen in Deutschland bis zum Jahr 2020 die Treibhausgasimmissionen um mindestens 40 Prozent und bis zum Jahr 2050 um mindestens 95 Prozent gesenkt werden.

c. Unfallrisiken

Im Netz der Deutschen Bahn (DB) existieren noch ca. 17.000 Bahnübergänge (BÜ). An diesen kam es 2015 zu 154 Unfällen. Laut Sicherheitsbericht 2015 des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) kam es dabei zu 45 Schwerverletzten (6 Fahrgäste sowie 39 Benutzer von BÜ) sowie 35 Toten (3 Fahrgäste bzw. DB-Mitarbeiter sowie 32 Benutzer von BÜ).  Das heißt konkret, dass es rein statistisch pro Jahr rund an jedem 100. BÜ zu einem Unfall kommt und etwa an jedem 200. BÜ jedes Jahr ein Mensch stirbt. Oder anders formuliert:
Innerhalb von 10 Jahren passiert an jedem 10. BÜ ein Unfall und stirbt an jedem 20. BÜ ein Mensch.  Das EBA schreibt in seinem Sicherheitsbericht 2015 dazu: „Vergleichbar zu den Vorjahren sind etwa 80 % aller Todesfälle [Anm.: im Zusammenhang mit dem Eisenbahnverkehr] den Kategorien „Benutzer von Bahnübergängen“ und „unbefugte Personen auf Eisenbahnanlagen“ zuzuordnen.“

Bahnübergänge sind nach Bewertung der Bundesvereinigung gegen Schienenlärm e.V. die gefährlichsten Orte in der ganzen Republik, nirgendwo ist die Wahrscheinlichkeit so groß, verletzt zu werden oder zu sterben – weder in einem der Störfallverordnung (StörfallV) unterliegenden Betrieb der Chemieindustrie noch bei einer gefahrgeneigten Tätigkeit.

d. „Salami–Taktik“ der DB AG

Der im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland stehende Konzern Deutsche Bahn AG gibt tagtäglich bei fast jeder Planung ein unrühmliches Beispiel, dass die Risiken neuer Verkehrsplanungen für die Gesundheit der Streckenanlieger und ihrer attraktiven Wohnverhältnisse durch eine Aufsplitterung in viele kleine Teilvorhaben bewusst aus dem Blick verloren werden, auch um sich einer gebotenen ganzheitlichen Konfliktlösung zu entziehen.

Beispielsweise werden derzeit in zahlreichen kleinen zeitlich kumulierten Einzelplanungen der Ausbau des transeuropäischen Bahnnetzes für den Gütertransport (TEN-T-Kernnetz) von der Bahn betrieben. Die Beseitigung bzw. der Umbau von höhengleichen Bahnübergängen ist dabei die (rechtliche) Voraussetzung für eine nachfolgende Erhöhung der Streckengeschwindigkeit und schafft mit der nachfolgenden Einrichtung eines elektronischen Stellwerks (ESTW) sowie zahlloser anderer baulicher Veränderung an den Bahnstrecken die baulichen Voraussetzungen für eine von der Europäischen Union unterstützte erhebliche Erhöhung der Streckenkapazität und damit leider auch der Immissionsbelastung durch Lärm und Erschütterungen zulasten der Bahnanlieger.

Alle diese vielen Einzelausbauvorhaben des Streckennetzes der Bahn sind funktional und wirtschaftlich aufeinander bezogen und daher als zeitlich kumulierende Vorhaben im Sinne des Gesetzes zur Umweltverträglichkeitsprüfung anzusehen. Die Bahn missachtet dies regelmäßig und teilt die Verfahren nach der so bezeichneten „Salami–Taktik“ in viele kleine Verfahren auf und erschwert es den Anliegern sowie den Betroffenen Städten und Gemeinden, die drohende Steigerung der Lärmimmissionen dieser Teilmaßnahmen als Gesamtfolge zu erkennen und ihnen eine effektive Information und Beteiligungsmöglichkeit im Rahmen der Planung zu eröffnen.

Vor diesem Hintergrund dieser Umgehung gesetzlicher Pflichten durch die Bundesrepublik Deutschland als Eigner der DB AG selbst fordert die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm e.V., dass Umweltverträglichkeitsprüfungen für alle derzeit in der Planung befindlichen Güterverkehrskorridore der DB Netz AG (Gesamt–UVP) durchgeführt werden. Dies wird in dem Gesetzentwurf als Pflicht des Vorhabensträgers erfreulicherweise in Erinnerung gerufen und betont (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung, BR-Drs. 164/17 vom 17.02.2017, dort §12 Abs. 1 Nr. 2 des neu zu fassenden UVPG).

Zusammenfassend muss insbesondere auch bei Verkehrsplanungen für das Bahnnetz die Minderung der Unfallrisiken, die Ziele des Klimaschutzes und eine Kehrtwende beim Flächenverbrauch auch in der Umweltverträglichkeitsprüfung untersucht werden.

e. Stellungnahme zum Gesetzentwurf

Die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm e.V. wird sich zu dem Novellierungsentwurf des UVP–Gesetzes nach Anhörung von Sachverständigen auch öffentlich äußern.

Kontakt: m.moeller@bvschiene.de