Unter dem Titel „Bahnlärm ist gefährlicher als Fluglärm – Verfassungsbeschwerde rügt grobe Mängel beim Schutz vor Schienenlärm“ – hat die BVS eine Pressemitteilung veröffentlicht.
Jeder weiß, dass Verkehrslärm gesundheitsschädlich ist. Dass nächtlicher Flug- und Schienenlärm besonders schädlich ist, ist ebenso unbestritten. Deshalb ist bei nahezu allen deutschen Flughäfen ein Nachtflugverbot angeordnet; auf Straßen gibt es nächtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen gegen Lärm, auf der Schiene gibt es solche nächtlichen Betriebsregelungen jedoch nicht.
Neuere Forschungsergebnisse kommen nun aber zu dem Ergebnis, dass nächtlicher Schienenlärm erheblich gesundheitsschädlicher als Straßen- und Fluglärm ist, da die Aufwachwahrscheinlichkeit bei Vorbeifahrt eines Zuges schon bei erheblich geringeren Lärmpegeln eintritt als beim Flug- oder Autoverkehr. Der bekannte Kardiologe Prof. Dr. med. Thomas Münzel, Universitätsklinikum Mainz, hat dies in einer schriftlichen Stellungnahme vom 29.05.2021 gegenüber der BVS dargestellt und bestätigt; er stützt sich auf neuere internationale medizinische Forschungsergebnisse und eigen Untersuchungen.
Die BVS hat diese Ergebnisse nun auch dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe im Rahmen ihrer dort zum AZ 1 BvR 1377/21 anhängigen Verfassungsbeschwerde zur Verfügung gestellt.
Diese Verfassungsbeschwerde stützt sich zudem auf unglaubliche Nachlässigkeiten und Willkür bei der gesetzlichen, behördlichen und gerichtlichen Bewertung der gesundheitsschädigenden Auswirkungen nächtlichen Schienenlärms und fordert den nach Art 2 GG gebotenen staatlichen Gesundheitsschutz ein.
Gerügt wird u.a. dass bei der gesetzlich vorgegebenen Abschätzung der Auswirkungen von Schienenlärm nicht auf konkrete (einzelne) Lärmereignisse abgestellt wird, sondern auf einen über eine Zeitspanne berechneten theoretischen Mittelwert (genannt äquivalenter Dauerschallpegel bzw. Beurteilungspegel), obwohl der schlafende Bahnanlieger keinem „Dauerlärm“ ausgesetzt ist, sondern zahlreichen Lärmspitzen, die nicht nur dicht an der Bahnstrecke bis zu 100 dB(A) reichen können und somit Aufwachreaktionen hervorrufen. Es liegt auf der Hand, dass schon deshalb der nivellierte Dauerschallpegel nicht „äquivalent“ (also gleichwertig) sein kann und schon gar nicht die Gesundheitsschädigung angemessen/adäquat beschreiben kann.
Schier unerträglich ist darüber hinaus die Praxis der Erstellung von „Bahnlärmgutachten“ für die Eisenbahn, weil deren Ergebnisse nach neuer Rechtsprechung des BVerwG praktisch nicht mehr angegriffen werden können; das gilt selbst dann, wenn solche Prognose-Gutachten von einem Büro für die DB Netz AG erstellt wurden, das sehr häufig von der DB Netz AG beauftragt wird und das weder über einen vereidigten Sachverständigen noch irgend eine andere unabhängige, anerkannte Akkreditierung verfügt und dann auch noch unbestritten eine veraltete und für den konkreten Rechenvorgang nicht zugelassene (nicht konforme) Software verwendet. Selbst abweichende (höhere) Rechenergebnisse von zwei voneinander unabhängigen vereidigten Sachverständigen können weder die DB Netz AG noch das Eisenbahnbundesamt noch das Bundesverwaltungsgericht veranlassen, das von der DB-Netz AG bezahlte Parteigutachten von einer unabhängigen Stelle nachprüfen zu lassen, wie das Verfahren und Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.10.2020, AZ 7 A 9.19 belegen.
Näheres zu diesem Themenkomplex bietet auch der Aufsatz Frühauf/Nocke „Bahnlärmgutachter endlich unfehlbar“ in der Zeitschrift Lärmbekämpfung 3/2021 (externer Link).
Die BVS erwartet, dass das Bundesverfassungsgericht der massiv vorgebrachten Kritik an der konkreten Beurteilungspraxis von Schienenlärm Rechnung trägt.